Perkins 1 – 2 – 3

von Vera F. Birkenbihl

oder Lernbare Intelligenz?

Dieses wichtige DENK-MODELL des Harvard-Professors Dave PERKINS greift das seit Jahrzehnten weitgehend unveränderte „klassische“ IQ.-Konzept gleich an zwei Fronten an: Zum einen geht er von einer LERNBARen Intelligenz aus. Damit wird Intelligenz abhängig davon, wie wir Lernvorgänge angehen und bewältigen (wir kommen darauf zurück). Zum anderen hat Intelligenz im realen Leben mit der Vorstellung jener Intelligenz-Forscher, die I.Q.-Tests als Meßlatte einsetzen, nicht viel zu tun. Deshalb heißt sein Buch „OUTSMARTING I.Q.“. Erst im Untertitel taucht der Begriff der LERNBAREN INTELLIGENZ (Learnable Intelligence) auf. Und genau das ist das WESEN-tliche an seinem An­satz, denn einst lautete die Frage vor allem „angeboren oder anerzogen?“. PER­KINS aber stellt uns drei Faktoren vor; deshalb nenne ich sein Denk-Modell „PERKINS 1, 2, 3″. Wir können an zwei der drei „Rädchen drehen“, um unsere Intelligenz zu verbessern. Nur „Rädchen 1″ (angeboren) ist „Schicksal“, aber 2 und 3 können wir selbst steuern, und zwar lebenslang!

Rädchen 1: NEURONALE GESCHWINDIGKEIT

Es geht um die angeborene neuronale Geschwindigkeit, d.h. um das Tem­po, in dem unsere Neuronen feuern. Das ist das „Rädchen“, an dem wir nicht drehen können… Wer SCHNELL angelegt ist, kann schnell „schalten“, das sind Leute, die bei I.Q.-Tests tatsächlich besser abschneiden, so daß wir eine gewisse Korrelation zwischen PERKINS‚ erstem Faktor und dem sog. IQ.-Test sehen kön­nen. Dabei ist folgendes wichtig:

  1. Wir merken, ob wir „NEURONAL LANGSAM“ oder „SCHNELL“ sind, wenn wir NEUES verarbeiten müssen. Wann haben Sie das letzte Mal etwas NEUES gelernt? Ein neuer Tanz, eine neue Sprache, neue Fakten (Wissen) – was immer. Und wie war es früher,wenn Sie NEUES lernen mußten (z.B. in der Schule)? Kamen Sie sich damals öfter„ doof vor, weil so viele andere schneller als Sie „kapierten“?
  2. DAS PROBLEM FÜR DIE NEURONAL LANGSAMEN BESTEHT VOR ALLEM DARIN, daß es das Selbstwertgefühl angreift, wenn man nie erfährt, daß neuronal Langsame beim Erst-lemen einfach länger brauchen! Gleichzeitig aber neigen die Langsamen dazu, den Dingen gründlicher „auf den Grund“ zu gehen (man beachte die Wort­bildung!), weil sie, wie EINSTEIN einmal sagte, „sich alles Wichtige selber beibrin­gen müssen“. Dieses Sich-Belehren“ aber fordert von den Lernenden, was teure Privatschulen ebenfalls erzwingen: man muß sich den Stoff autonom erarbeiten.
  3. NEURONAL SCHNELLE tun sich manchmal anfangs so leicht, daß alle in ihrer Umgebung (Familie, Nachbarn, Freunde der Familie etc.) sie für besonders begabt halten. Es wird auch bezüglich I.Q. immer wieder betont, daß SCHNELLIGKEIT einer der Faktoren sei, an denen man hohen I.Q. erkennen könne. Tatsache aber ist, daß dies NUR BEI UNSEREM SCHULSYSTEM bis ca. Alter 15 „gut geht“, da unser Unterricht an Regelschulen so extrem flach ist (an exklusiven Schulen fallen diese „Überflieger!“ eher auf und lernen, Dingen auf den Grund zu gehen, weil diese Schulen sowohl für langsame als auch für schnelle Kinder besser sind als die meisten Regelschulen.

Leider sind viele Regelschulen keine Orte an denen man lernen würde, wie man lernt. Sie vermittelt PAUK-METHODEN, die aber LERN-Wege, denn LERNEN muß m.E. immer BEGREIFEN, „durchdenken“, in die Tiefe gehen beinhalten etc., PAUKEN hingegen erzeugt im Kopf ein Vakuum…

Stellen Sie erstens fest, ob Sie neuronal eher schnell oder langsam sind und lernen Sie, Dinge in dem Tempo, das zu Ihnen paßt, anzugehen. Versuchen Sie anderen Menchen keinesfalls auf Ihr Tempo zu bringen; lassen Sie es zu, daß andere schneller oder langsamer als Sie selbst lernen (arbeiten) wollen. Da dieser Faktor angeboren ist, können Sie Ihre Partnerin, Kinder, SchülerInnen etc. nur verunsichern, wenn Sie ihnen einreden, sie müßten anders (z.B. schneller) lernen, als sie können…


Rädchen 2: Gelerntes; Erfahrungen und Wissen

Meine „alten“ LeserInnen kennen mein Dnek-Modell des Wissens-Netzes (1. jeder Faden ein Bit; 2. es ist leichter, neue Details in vorhandene Fäden „einzuhäkeln““ als außerhalb des Netzets neue Fäden zu bilden…). Dieses Denk-Bild kann uns helfen, PERKINS-2 zu verstehen: je mehr wir wissen, desto leichter können wir NEUES lernen, wenn nämlich das NEUE bereits Fäden im Wissens-Netz vorfindet, an das es ANDOCKEN kann. Im Klartext bedeutet das:

  1. Je mehr wir wissen, desto mehr Infos können irgendwo „andocken“, sind also nicht mehr 100% neu, somit nivellieren wir den Unterschied zwischen schnelleren und langseren Denkern.
  2. Je mehr wir wissen, auf desto mehr Infos (Daten, Fakten, Erfahrungen etc.) können wir zurückgreifen, wenn wir denken wollen. Also können wir INTELLIGENTER denken. Das ist das Hauptanliegen von PERKINS‘ Konzept der LERNBAREN INTELLIGENZ!
  3. Je mehr wir wissen, desto mehr Assoziationen „ergeben sich“, wenn wir denken, deshalb wird uns mehr „einfallen“. Man könnte auch sagen „zufallen“ (welch ein Zufall!), so daß mehr wissen uns auch KREATIVER macht!

Hier sehen wir einen großen Unterschied zwischen bidlungsnahen und bildungsfernen Familien: Je bildungsferner, desto größer ist die Gefahr, daß das Wissensnetz sehr klein bleibt, was von Jahr zu Jahr mehr Lern-Probleme schaffen wird, insbesondere in einem Regelschul-System, das bildungsfernen nicht wirklich helfen möchte! Je bildungsnäher, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß die Eltern das Kind regelmäßig auffordern, auch neben der Schule zu lernen…


Rädchen 3: Wir können wählen!

PERKINS nennt diesen Aspekt reflexive Intelligenz, d.h. unsere Fähigkeit über Methoden, Strategien, Techniken (wie wir denken, lernen, Probleme lösen etc.) nachzudenken! Dies ist sein großer Geniestreich: Indem wir die Methode ändern, ändern wir die Ergebnisse und können besser leisten. Interessanterweise tut man das in allen Bereichen des Lebens, mit Ausnahme des Schulsystems. Findet jemand heraus, daß sein Nachbar einen Trick gefunden hat, mit dem man ein Problem besser lösen kann, will er diesen Trick LERNEN und anwenden (er will also z.B. ebenfalls INTELLIGENTER grillen). Dasselbe gilt im GESCHÄFTSLEBEN: Firmen müssen neue Methoden, Technologien, Erfindungen sogar patentrechtlich schützen lassen bzw. verstecken (Pläne im Safe) und ver-HEIMLICH-en, weil die Konkurrenz sie nachahmen würde, um ähnlich erfolgreich zu werden. Aber in der Schule? Da beobachten wir seit Jahrzehnten, daß die meisten Nachhilfestunden für Sprache „draufgehen“ (Muttersprache und Fremdsprachen), welche bildungsferne Familien sich nicht leisten können und so geben wir gerade jenen, denen die Schule bieten sollte, was zuhause fehlt, diese Chance NICHT. Man geht lieber davon aus, die Schüler seien desinteressiert, faul etc., statt zu tun, WAS MAN IN JEDER ANDEREN BRANCHE TÄTE: Den Prozess selbst unter die Lupe zu nehmen.

Wenn sich Nachhilfe auf einen Themenkomplex konzentriert, muß an seineer Vermittlung etwas grundsätzlich falsch laufen, sonst würden sich Nachhilfestunden demokratisch über ALLE Fächer verteilen. Aber das ist nicht der Fall! Es gehört seit Jahrzehnten zu meinen Tätigkeiten nachzuweisen, daß es anders besser kehr. Allerdings muß ich sagen, daß das Interesse von Lehern, den Sprach- (und Sprachen-) Unterricht zu verbessern, fast bei Null liegt. Die Tatsache, daß die wenigen, die es probieren, plötzlich weit „intelligentere“ und „interessiertere“, d.h. „motiviertere“ SchülerInnen im Klassenzimmer haben, führt manchmal dazu, daß die erfolgreichen Lehrkräfte von KollegInnen ausgegrenzt werden (viele sind in die Erwachsenenbildung abgewandert, wo zahlende Kunden sich über bessere Methoden freuen!)

FAZIT: Was für das Sprachenlernen gilt, gilt auch für zig andere Tätigkeiten. Als Erwachsener glaubt man als Opfer leider, man sei „unbegabt“, man hält sich in Bezug auf diese Tätigkeit für „dumm“, aber wenn wir die Methode wechseln, ändert sich auch das dramatisch. Es ist sehr spannend, solche Neu-Versuche zu wagen!

Quelle: u.a. Vera F. Birkenbihl (2008): „Lernen lassen“ mvg – Verlag

 

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